Das Zertifizierungssystem MarinTrust betreibt Greenwashing von Fischereiprodukten aus der besetzten Westsahara im Wert von mehreren Millionen Euro – und macht dabei falsche Herkunftsangaben.
Foto: Köster Marine Proteins (KMP) in Bremen ist ein wichtiger Umschlagplatz für Fischmehl aus der Westsahara nach Europa. Das Unternehmen gibt keine Auskunft darüber, wie es zu einem Zertifikat für „responsible supply” von MarinTrust gekommen ist. MarinTrust, die Zertifizierungsstelle, und die Exportunternehmen in den besetzten Gebieten haben ebenfalfls verfehlt, Fragen zu beantworten.
Europäische Importunternehmen von Fischereiprodukten – insbesondere Unternehmen, die hochwertiges Fischmehl und Fischöl für die Aquakultur und Fischfutter verwenden – behaupten, dass ihre Produkte aus zertifizierter nachhaltiger oder verantwortungsvoller Fischerei stammen. Im vergangenen Jahr hat Western Sahara Resource Watch (WSRW) die im Zertifizierungssektor tätigen Unternehmen aufgefordert, zu klären, wie die von marokkanischen Siedler:innen betriebene Fischerei in der besetzten Westsahara solche Zertifizierungen erhalten können.

Ein bedeutender Teil des Fischmehl- und Fischölsektors in der Westsahara trägt das blaugrüne Zertifizierungslogo der in London ansässigen Firma Marine Ingredients Certifications Ltd (MarinTrust), das vermeintlich verantwortungsvolle Fischereipraktiken garantiert.
Allerdings gibt es erhebliche Unstimmigkeiten hinsichtlich der Anwendung des MarinTrust-Standards in der besetzten Westsahara. Eine genauere Prüfung zeigt, dass die unter dem Namen MarinTrust ausgestellten Zertifikate weder glaubwürdig noch transparent sind. Darüber hinaus enthalten alle Zertifikatsdokumente schwerwiegende Fehler.
MarinTrust scheint zu akzeptieren, dass Unternehmen fälschlicherweise dem falschen Land zugeordnet werden, und macht falsche Angaben dazu, in welcher Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) die Fänge getätigt werden. Diese Praxis widerspricht den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union und scheint sogar mit den in den eigenen Standards von MarinTrust festgelegten Grundsätzen unvereinbar zu sein. Es bleibt unklar, wie MarinTrust die Einhaltung der Rechtsvorschriften sowohl in Bezug auf die Fischerei selbst als auch auf den Produktionsprozess definiert. All dies geschieht wiederholt und selbst nachdem WSRW auf die schwerwiegenden Fehler hingewiesen hat.
WSRW hat MarinTrust erstmals am 29. November 2024 kontaktiert und am 2. Dezember 2024 eine Empfangsbestätigung erhalten. Trotz Nachfragen bei MarinTrust am 25. Dezember 2024 und 6. September 2025 wurde jedoch keine Antwort gegeben.
Das Ausbleiben von Antworten spiegelt das völlige Schweigen der marokkanischen Produktionsunternehmen in der Westsahara, der Importunternehmen in Europa und der Zertifizierungsstellen wider. Keiner von ihnen hat erklärt, wie Zertifikate mit falschen Angaben zum Herkunftsland den Standards von MarinTrust entsprechen können.
„Die sogenannte ‘Verantwortung’ von MarinTrust ist nichts anderes als ein glänzender Aufkleber auf einer offenbar völlig oberflächlichen Struktur. MarinTrust verkauft die Illusion von Verantwortung, während es die Ausbeutung in besetzten Gewässern zertifiziert. Hinter dem Markenzeichen verbirgt sich nichts als Nachlässigkeit, sowohl seitens der Exportunternehmen und der unabhängigen Zertifizierungsstellen als auch seitens MarinTrust selbst. Es ist völlig unverständlich, dass ein auf Verantwortung basierendes System mit solchen Praktiken davonkommen kann“, sagte Erik Hagen von WSRW.
„Wenn MarinTrust das Seerecht wirklich respektieren würde, würde es keine marokkanische Fischerei in der Westsahara zertifizieren. Sie sollten in die Geflüchtetencamps reisen und den Sahrauis direkt sagen, dass der Absatz ihres Standards zum Seerecht dort endet, wo ihr eigenes Geschäft beginnt“, sagte Hagen.
Es ist unklar, wie viel MarinTrust durch die Annahme solcher Zertifikate verdient. Das Unternehmen erhebt Gebühren sowohl pro zertifiziertem Unternehmen als auch pro zertifiziertem Betrieb. Die Gebührenstrukturen sind auf ihrer Website veröffentlicht.
WSRW hat konkret nach Zertifikaten gefragt, die an Tiscop Trading (2023), Copelit S.A.R.L (2022), KB Fish (2022), Laayoune Protein (2024), Protein and Oil Industry (2022), Atlantic Tank Terminal (2022), DIPROMER (2020) und dem Fischmehlimportunternehmen Köster Marine Proteins (2022) ausgestellt wurden, und zwar gemäß den beiden Standards: a) MarinTrust Standard for Responsible Supply of Marine Ingredients Version 2.0. und b) Marine Ingredients Responsibly Supplied Chain of Custody Standard (Ausgabe 1.1 und 2)).
Seit WSRW seinen ersten Brief verschickt hat, wurden drei weitere marokkanische Unternehmen zertifiziert: Oued Eddahab Pro (2025), Pelagic Pro II (2025), Overseas Proteine (2025), während das Zertifikat für Atlantic Tank Terminal erneuert wurde (2025).
In dem Schreiben an MarinTrust betonte WSRW, dass es nicht nachvollziehen kann, wie MarinTrust zu dem Schluss gekommen ist, dass Unternehmen in den besetzten Gebieten Zertifikate erhalten könnten, angesichts der in seinen Standards festgelegten Kriterien.
Alle marokkanischen zertifizierten Betriebe sind auf den Zertifikaten als in „Laayoune, Marokko” oder „Dakhla, Marokko” ansässig aufgeführt. Allerdings gehört keine der beiden Städte zu Marokko. Hier ist eine Karte der Vereinten Nationen von Afrika. WSRW bezeichnete diesen geografischen Fehler und die Nichteinhaltung internationaler Entscheidungen als „grobe Fahrlässigkeit”.
Die Standards von MarinTrust legen ausdrücklich fest, dass sie sich auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) „stützen”. Im Zusammenhang mit der Westsahara scheint dieser Verweis jedoch weitgehend symbolisch zu sein. UNCLOS gewährt den anerkannten Küstenstaaten Hoheitsrechte über Fischerei und ausschließliche Wirtschaftszonen. Wie der Europäische Gerichtshof 2018 entschied (C-266/16, Randnrn. 66-69), ist Marokko jedoch nicht der „Küstenstaat“ der Westsahara im Sinne von UNCLOS, was bedeutet, dass es keine anerkannten Hoheitsrechte über die Gewässer der Westsahara hat.
Durch die Zertifizierung der Fischerei in der Westsahara als „marokkanisch” missachtet MarinTrust effektiv die Anforderung des UNCLOS, dass die legitime Küstenbehörde der Ausbeutung der Ressourcen zustimmen muss. Die Vereinten Nationen betrachten die Westsahara als ein Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung ohne zugewiesene Verwaltungsmacht. Das Volk der Westsahara hat weder der marokkanischen Fischerei noch den Zertifizierungspraktiken von MarinTrust zugestimmt.

Ein Zertifikat für das Unternehmen Protein and Oil Industry (2022) suggeriert sogar, dass die in einer Fabrik in Dakhla angelandeten Fänge aus der marokkanischen AWZ stammen. Diese Behauptung ist höchstwahrscheinlich unzutreffend: WSRW sind keine Fälle bekannt, in denen Fisch, der innerhalb der marokkanischen AWZ, die sich nicht weiter südlich als der 27°40′ nördlicher Breite erstreckt, gefangen wurde, im Hafen von Dakhla, der etwa 450 Kilometer weiter südlich liegt, angelandet wurde.
In den letzten Jahren hat sich eine Reihe von Rechtsvorschriften zum Anspruch Marokkos auf dieses Gebiet herausgebildet. MarinTrust scheint diese Entwicklung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Seit 2015 hat der Gerichtshof der Europäischen Union in zehn (!) aufeinanderfolgenden Urteilen folgende Punkte als geklärt festgestellt:
Die genauen rechtlichen Verweise zu jedem dieser Elemente finden sich im Schreiben von WSRW an MarinTrust.
Ein Urteil des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Rechte der Völker und des Internationalen Gerichtshofs bekräftigt diese Punkte.
Dennoch scheint MarinTrust die Westsahara und ihre Gewässer als Teil Marokkos zu behandeln.
WSRW hat sich an die Drittorganisationen gewandt, die die Zertifikate mit den falschen Länderangaben ausgestellt haben, nämlich Global Trust, Intertek/SAI oder SGS, aber keine von ihnen hat auf die Anfragen von WSRW reagiert.
WSRW wandte sich an Tiscop Trading, Copelit, KB Fish, Laayoune Protein, Protein and Oil Industry, Atlantic Tank Terminal, DIPROMER und Köster Marine Proteins bezüglich ihrer MarinTrust-Zertifizierungen. Das einzige Unternehmen, das den Kontakt bestätigte, war die Muttergesellschaft von Atlantic Tank Terminal in Frankreich, Olvea. Olvea beantwortete jedoch keine Fragen zum MarinTrust-Zertifikat.
Es scheint, dass MarinTrust weder russische Fischerei in ukrainischen Gewässern noch israelische Fischerei in palästinensischen Gewässern als verantwortungsbewusst zertifiziert. WSRW ist nicht klar, warum MarinTrust diese Angelegenheiten unterschiedlich behandelt.
Unterdessen fordert der langwierige Konflikt weiterhin einen hohen menschlichen und humanitären Tribut. Mehr als 170.000 Sahrauis leben weiterhin in Geflüchtetencamps im benachbarten Algerien und leiden unter den harten Bedingungen in der Wüste und der schwindenden humanitären Hilfe. Diejenigen, die unter marokkanischer Besatzung leben, sind schweren und anhaltenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Im Jahr 2023 beklagte der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, dass seinem Büro seit acht Jahren der Besuch der Westsahara verwehrt werde.
In der englischen Version dieses Artikels sind die Fragen aufgeführt, die WSRW MarinTrust gestellt hat.
Nachdem WSRW die oben genannten Fragen an MarinTrust geschickt hatte, stellte die Organisation außerdem fest, dass das marokkanische Unternehmen Pescasud SARLAU Fisch aus der „Zone C” in der Westsahara für seinen Standort in Agadir bezieht.
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Die Zertifizierungsgsunternehmen LSQA hat alle Aktivitäten in der Westsahara eingestellt. Es hatte zuvor marokkanische Produzenten zertifiziert, die in dem besetzten Gebiet tätig waren.
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Die Rechtsberatungsfirma Global Diligence, die sich als Experte für „verstärkte Sorgfaltspflicht“ präsentiert, stellt die völkerrechtliche Situation in der besetzten Westsahara falsch dar.